Spinnentoxine – Wikipedia

Spinnentoxine (auch Spinnengifte) sind giftige Sekrete, die von Spinnen gebildet werden.[1] Das Gift wird in den im Cephalothorax gelegenen Giftdrüsen gebildet und durch eine kleine Öffnung an der Spitze der Chelicerenklauen in die Beute injiziert. Eine Ausnahme bilden die Kräuselradnetzspinnen (Uloboridae) aufgrund fehlender Giftklauen und -drüsen.[2] Es dient hauptsächlich zur Immobilisierung der Beute und der extraintestinalen Vorverdauung, in Ausnahmefällen der Verteidigung.[3] Nach der World Spider Catalog Association 2017 sind von den über 46.000 weltweit bekannten Spinnenarten weniger als 1 % für den Menschen gefährlich.[4][5]

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Spinnengifte enthalten eine Mischung von verschiedenen Molekülen.[6] Die meisten Spinnentoxine sind Proteine. Die kleineren Proteine sind meist Neurotoxine und unter 10 Kilodalton groß, z. B. Robustoxin,[7] Versutoxin,[7] Hanatoxin,[8] Stromatoxin, Vanillotoxin, während die größeren Spinnentoxine meist Enzyme oder porenbildende Toxine sind und nekrotisch wirken, z. B. Latrotoxin (100 Kilodalton). Daneben gibt es noch die Acylpolyamine, die an den Glutamatrezeptor binden.[9] Etwa 70 % der Spinnentoxine sind insektizid.[10]

Die Zusammensetzung der Spinnengifte ist komplex und für jede Art unterschiedlich. Daher klassifiziert man Spinnengifte anhand ihrer Wirkung:

Die genauen einzelnen Bestandteile der Gifte lassen sich schlecht identifizieren, neben Wasser sind dies hauptsächlich Enzyme, sonstige Proteine und sonstige Bestandteile.[5]

Spinnentoxine sind in der Datenbank ArachnoServer verzeichnet.[11]

Wirkung der gefährlichsten Spinnengifte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Südliche Schwarze Witwe (Latrodectus mactans), Weibchen

Gift der Echten Witwen (Latrodectus)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Hauptauslöser für die Wirkung des Giftes ist das Neurotoxin α-Latrotoxin. Es ist ein Protein mit einer Molekülmasse von ca. 130000 Dalton, das durch die Anbindung an Neurexine, die in der präsynaptischen Membran liegen, die Vesikelentleerung und Transmitterfreisetzung verstärkt. Der ständige Zufluss der Calcium-Ionen führt letztlich zu einer Dauererregung an dem betreffenden Muskel.[12][13]

Symptome eines Bisses sind lokale Entzündungserscheinungen an der Bissstelle, Schwellung der Lymphknoten, starke Schmerzen, spontane Muskelkontraktionen, Hypertonie, Kopfschmerzen und Übelkeit. Durch die geringen Mengen des Giftes und die Existenz eines Gegengiftes beträgt die Todesrate 3 % aller Gebissenen. Ein ausschlaggebender Punkt ist die gesundheitliche Verfassung des Betroffenen. Gefährdet sind Personen, die an Hyperthermie und Herzkreislauferkrankungen leiden. Ursächlich für Todesfälle sind folglich Schlaganfälle, Herzversagen, Krämpfe, die das Atemsystem betreffen, oder Erstickung aufgrund eines Atemstillstandes oder eines Ödems.[5][14]

Gift der Brasilianischen Wanderspinnen (Phoneutria)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Phoneutria nigriventer

Das Gift der Phoneutria beinhaltet mehrere Neurotoxine. Jedoch ist das Toxin PhTx1 das Ausschlaggebende. Es ist ein aus 77 Aminosäuren bestehendes Polypeptid, welches die Freisetzung von Acetylcholin bewirkt. Weiterhin kommt es zu einer Hemmung der Schließungsfunktion spannungsgesteuerter Natriumkanäle und der ACh-Rückdiffusion.

Es folgt ein damit verbundener rascher Anstieg der intrasynaptosomalen freien Calciumkonzentration und einer dosisabhängigen Glutamatfreisetzung, Hemmung der Calcium-abhängigen Glutamatfreisetzung, Erhöhung der freien cytosolischen Calciumkonzentration aufgrund Membrandepolarisierung und Freisetzung von Acetylcholin im Hirn und autonomen Nervensystem.

Symptome, die das Gift mit sich bringt, sind Schmerzen, Hyperämie, Sensibilitätsstörungen, Parästhesie, Hyperreflexie, Krämpfe, Opisthotonus, Koordinationsstörungen, Lähmungen, Somnolenz, Atemlähmung, Lungenödem, Tachykardie, Arrhythmie, ein Beklemmungsgefühl in der Brust, arterielle Hypertension, Brechreiz, vermehrte Urin/Spermaabgabe, Erektion/Priapismus, Sehstörungen, Pupillenerweiterung, Schweißausbrüche, erhöhter Tränen/Speichelfluss, Niesreiz, Untertemperatur oder Fieber, Schüttelfrost, Schwindel und Blässe.[5][15]

Gift der Sydney-Trichternetzspinne (Atrax robustus)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Atrax robustus

Forschungen am Gift der Sydney-Trichternetzspinne (Atrax robustus) und der verwandten Blue-Mountains-Trichternetzspinne (Hadronyche versuta, vgl. auch Hadronyche modesta) haben ergeben, dass Delta-Atracotoxine (δ-ACTX), nämlich Delta-ACTX-Ar1 (alias Robustoxin oder Robustotoxin) bzw. Delta-ACTX-Hv1 (alias Versutoxin), die Wirkungsursache sind.[16] Robustoxin ist ein Polypeptid, welches sich über 42 Aminosäuren erstreckt, und als Neurotoxin auf tetrodotoxin-sensitive Natriumkanäle wirkt. Je nach der Konzentration des Giftes, verlangsamt bzw. entfernt es die Inaktivierung der tetrodotoxin-sensitive Natriumkanäle. Es kommt zu einer Veränderung des elektrischen Feldes der Nervenbahn. Das Ergebnis ist andauernde unkontrollierbare Nervenaktivität, die sich auch in den Symptomen wieder zeigt. Besonders ist die tödliche Wirkung auf Menschen, Primaten und neugeborene Mäuse im Vergleich zu vielen anderen Säugetieren, bei denen das Gift kaum Wirkung zeigt. Je nach Alter und Verfassung des Opfers kann das Gift bereits nach 15 bis 90 Minuten bei Kindern und bei Erwachsenen nach wenigen Tagen zum Tod führen.[17]

Die Wirkung des Giftes zeigt sich in starken Schmerzen, Erythem, Muskelspasmen, Piloerektion, periorales Taubheitsgefühl, Zungenspasmen, Reflexsteigerung, Krämpfe, Verwirrtheit, Angst, Delir, Koma, Hirnschäden, Erblinden, Miosis, Dyspnoe, Atemlähmung, akutes Lungenödem, Hypotonie, Tachykardie, Arrhythmie, Zyanose, Herzstillstand, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Nierenversagen, Schweißausbrüchen, Speichel/Tränenfluss, Schüttelfrost, Fieber.[5][18]

Weitere Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Andere Spinnentoxine sind beispielsweise Stromatoxin, TlTx1, TlTx2, TlTx3 und die Vanillotoxine.

Spinnengift in der Medizin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Spinnengifte wirken in vielen verschiedenen Weisen, die auch in der Medizin nützlich sein können. So wurden zum Beispiel Spinnengifte als Schmerzmittel[19], Potenzmittel[20] aber auch als Krebsheilmittel[21] versucht. Erfolge konnte man zuletzt bei Forschern an der University of Queensland beobachten. Diese nutzten das Peptid Hi1a des Giftes der Ostaustralischen Trichternetzspinne (Darling-Downs-Trichternetzspinne, Hadronyche infensa) um ein Medikament herzustellen, welches gegen die Spätfolgen eines Schlaganfalls wirken soll. Hi1a hemmt die säureabhängigen Ionenkanäle (ASIC1a), die während eines Schlaganfalls dauerhaft aktiv sind und normalerweise zur Apoptose von Nervenzellen führt. Anderen ASIC1a-Inhibitoren ist das Peptid Hi1a voraus, da es auch noch 8 Stunden nach dem Schlaganfall wirkt und zu dem reversibel ist.[22]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Spinnengifte. (spektrum.de [abgerufen am 23. März 2018]).
  2. Uloboridae – Wiki der Arachnologischen Gesellschaft e. V. Abgerufen am 23. März 2018.
  3. Gifttiere. (spektrum.de [abgerufen am 23. März 2018]).
  4. Giftigkeit von Spinnentieren – Wiki der Arachnologischen Gesellschaft e. V. Abgerufen am 23. März 2018.
  5. a b c d e GRIN - Spinnengifte. Abgerufen am 23. März 2018.
  6. Helmut Greim: Das Toxikologiebuch. John Wiley & Sons, 2017, ISBN 978-3-527-69546-1.
  7. a b Dianne Watters: Toxins and Targets. Taylor & Francis, 1992, ISBN 978-3-718-65194-8, S. 99.
  8. H. Takahashi, J. I. Kim, H. J. Min, K. Sato, K. J. Swartz, I. Shimada: Solution structure of hanatoxin1, a gating modifier of voltage-dependent K(+) channels: common surface features of gating modifier toxins. In: Journal of molecular biology. Band 297, Nummer 3, März 2000, S. 771–780, doi:10.1006/jmbi.2000.3609, PMID 10731427.
  9. A. Wallace Hayes: Principles and Methods of Toxicology, Fifth Edition. CRC Press, 2007, ISBN 978-0-849-33778-9, S. 1023.
  10. Lawrence I. Gilbert: Insect Pharmacology. Academic Press, 2010, ISBN 978-0-123-81448-7, S. 119.
  11. S. S. Pineda, P. A. Chaumeil, A. Kunert, Q. Kaas, M. W. Thang, L. Li, M. Nuhn, V. Herzig, N. J. Saez, B. Cristofori-Armstrong, R. Anangi, S. Senff, D. Gorse, G. F. King: ArachnoServer 3.0: an online resource for automated discovery, analysis and annotation of spider toxins. In: Bioinformatics. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Oktober 2017, doi:10.1093/bioinformatics/btx661, PMID 29069336.
  12. alpha-Latrotoxin. (spektrum.de [abgerufen am 23. März 2018]).
  13. Tiergifte - Chemgapedia. Abgerufen am 23. März 2018.
  14. Toxikologische Abteilung, Klinikum Rechts der Isar, München. Abgerufen am 23. März 2018.
  15. Toxikologische Abteilung, Klinikum Rechts der Isar, München. Abgerufen am 23. März 2018.
  16. PROSITE documentation PDOC60018. ACTX-Familie. Swiss Institute of Bioinformatics (SIB), abgerufen am 15. August 2011 (englisch).
  17. G. M. Nicholson, R. Walsh, M. J. Little, M. I. Tyler: Characterisation of the effects of robustoxin, the lethal neurotoxin from the Sydney funnel-web spider Atrax robustus, on sodium channel activation and inactivation. In: Pflugers Archiv: European Journal of Physiology. Band 436, Nr. 1, Juni 1998, ISSN 0031-6768, S. 117–126, doi:10.1007/s004240050612, PMID 9560455.
  18. Toxikologische Abteilung, Klinikum Rechts der Isar, München. Abgerufen am 23. März 2018.
  19. Harald Frater: scinexx | Spinnengift als Schmerzmittel: Toxisches Peptid einer Vogelspinne blockiert neuropathische Schmerzen. Abgerufen am 23. März 2018.
  20. DIE WELT: Gesundheit: Spinnengift als Viagra-Ersatz. In: DIE WELT. 11. Mai 2007 (welt.de [abgerufen am 23. März 2018]).
  21. Stephan Handel: Experimente mit Spinnengift. In: sueddeutsche.de. 2010, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 23. März 2018]).
  22. Irène R. Chassagnon, Claudia A. McCarthy, Yanni K.-Y. Chin, Sandy S. Pineda, Angelo Keramidas: Potent neuroprotection after stroke afforded by a double-knot spider-venom peptide that inhibits acid-sensing ion channel 1a. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 114, Nr. 14, 4. April 2017, ISSN 1091-6490, S. 3750–3755, doi:10.1073/pnas.1614728114, PMID 28320941, PMC 5389327 (freier Volltext).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]