Schlacht von Nürnberg – Wikipedia

Als Schlacht von Nürnberg (portugiesisch Batalha de Nuremberga, niederländisch Slag van Neurenberg) wird das Achtelfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zwischen Portugal und den Niederlanden bezeichnet, das am 25. Juni 2006 im Frankenstadion in Nürnberg ausgetragen wurde. In der von Schiedsrichter Walentin Iwanow geleiteten Partie, die von zahlreichen Fouls und Unsportlichkeiten geprägt war, wurde mit 16 Gelben Karten, davon vier Gelb-Roten Karten, eine Rekordzahl an Verwarnungen und Platzverweisen für ein Weltmeisterschaftsspiel ausgesprochen. Portugal gewann das Spiel mit 1:0; beide Mannschaften beendeten das Spiel mit lediglich noch neun Spielern auf dem Feld.

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei dem Spiel handelte es sich um eine Neuauflage des Halbfinalspiels der Fußball-Europameisterschaft 2004, das Portugal mit 2:1 für sich entschieden hatte. Damit war Portugal bei der Europameisterschaft im eigenen Land erstmals der Einzug in ein EM-Finale gelungen, in welchem man jedoch dem Außenseiter Griechenland unterlag.[1]

Zudem waren die Mannschaften in der Qualifikation zur Fußball-Weltmeisterschaft 2002 zweimal aufeinandergetroffen. Dabei hatten die Niederlande im Rückspiel eine 2:0-Führung in den letzten 10 Minuten noch verspielt. Auch das Hinspiel war unglücklich verlaufen, da beim 2:0-Sieg der Portugiesen der Führungstreffer zum 1:0 gefallen war, nachdem der Niederländer Marc Overmars nach einem Pfiff aus dem Publikum fälschlicherweise eine Spielunterbrechung vermutet hatte. Letztlich wurden die Niederlande hinter Portugal und Irland überraschend nur Gruppendritter und verpassten damit die Qualifikation für die Weltmeisterschaft.[2][3][4]

Vor dem Spiel hatten die Niederlande seit 15 Jahren nicht gegen Portugal gewonnen. Beide Teams hatten die Gruppenphase ungefährdet überstanden und waren bereits vor dem dritten Spiel sicher für das Achtelfinale qualifiziert gewesen, dementsprechend hatten beide Mannschaften im letzten Gruppenspiel einige Stammspieler geschont. Portugal hatte alle drei Vorrundenspiele gewonnen und zog dementsprechend als Gruppenerster ins Achtelfinale ein, die Niederlande wurden nach zwei Siegen und einem Unentschieden gegen Argentinien Gruppenzweiter. Bei Oranje hatte sich Stürmer Ruud van Nistelrooy, der zuvor in der Startelf gestanden hatte, vor der Partie mit Bondscoach Marco van Basten überworfen und saß daher nur auf der Bank. Van Nistelrooy war zuvor dreimal ausgewechselt worden und hatte van Basten daher öffentlich kritisiert.[5][6]

Spielverlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits in der zweiten Minute des Spiels zeigte Schiedsrichter Walentin Iwanow nach einem Foul von Mark van Bommel an Cristiano Ronaldo erstmals die Gelbe Karte.[7][8] In der siebten Minute erhielt Khalid Boulahrouz nach einem Tritt gegen Ronaldo die zweite Gelbe Karte der Partie. Der Portugiese verletzte sich durch dieses Foul und musste daher in der 33. Minute ausgewechselt werden.[9][7] Zunächst hatten die Niederländer die ersten Chancen. In der 23. Minute ging allerdings Portugal mit seiner ersten guten Torchance in Führung, nach Zuspiel von Pauleta konnte Maniche – der ebenfalls in der 20. Minute bereits gelbverwarnt worden war – den niederländischen Verteidiger André Ooijer aussteigen lassen und traf aus elf Metern ins rechte Toreck. Kurz vor der Halbzeitpause erhielt Costinha, der in der 33. Minute nach einem Foulspiel bereits Gelb gesehen hatte, nach einem absichtlichen Handspiel die Gelb-Rote-Karte, sodass Portugal die zweite Hälfte in Unterzahl eröffnete.[6][8]

In der zweiten Hälfte folgten Verwarnungen gegen den eingewechselten Portugiesen Petit (50. Minute) sowie den Niederländer Giovanni van Bronckhorst (59. Minute). Einen Kopfstoß von Portugals Kapitän Luís Figo gegen van Bommel in der 60. Minute sah Schiedsrichter Iwanow nicht, zeigte aber nach einem Hinweis durch einen Assistenten die Gelbe Karte.[10][11] Drei Minuten später erhielt Boulahrouz die Gelb-Rote Karte, da er Figo bei einem Zweikampf mit dem Ellenbogen im Gesicht getroffen hatte. In der 78. Minute folgte der nächste Platzverweis, als der erst fünf Minuten zuvor gelbverwarnte Deco wegen Zeitspiels des Platzes verwiesen wurde. Zwischen den beiden Gelben Karten für Deco hatte es gleich mehrere weitere Verwarnungen gegeben. In der 73. Minute erhielt Wesley Sneijder Gelb für seine Rolle in dem auf das Foul von Deco folgenden Gerangel, anschließend sahen auch Rafael van der Vaart (74. Minute), Ricardo und Nuno Valente (beide 76. Minute) die Gelbe Karte. Kurz vor Abpfiff musste schließlich auch noch der Niederländer Giovanni van Bronckhorst nach einer Gelb-Roten-Karte wegen eines Fouls das Feld vorzeitig verlassen.[6][8]

Portugal Niederlande Aufstellung
Portugal
25. Juni 2006 um 21:00 Uhr in Nürnberg (Frankenstadion)
Zuschauer: 41.000 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Walentin Iwanow (Russland Russland)
Spielbericht
NiederlandeNiederlande
Aufstellung Portugal gegen Niederlande
Aufstellung Portugal gegen Niederlande
RicardoMiguel, Fernando Meira, Ricardo Carvalho, Nuno ValenteCostinha, ManicheLuís Figo (C)ein weißes C in blauem Kreis (84. Tiago), Deco, Cristiano Ronaldo (34. Simão) – Pauleta (46. Petit)
Cheftrainer: Luiz Felipe Scolari
Edwin van der Sar (C)ein weißes C in blauem KreisKhalid Boulahrouz, André Ooijer, Joris Mathijsen (56. Rafael van der Vaart), Giovanni van BronckhorstMark van Bommel (67. John Heitinga), Wesley Sneijder, Phillip Cocu (84. Jan Vennegoor of Hesselink) – Robin van Persie, Dirk Kuyt, Arjen Robben
Cheftrainer: Marco van Basten
Tor 1:0 Maniche (23.)
Gelbe Karten Maniche (20.), Costinha (31.), Petit (50.), Figo (60.), Deco (73.), Ricardo (76.), Nuno Valente (76.) Gelbe Karten van Bommel (2.), Boulahrouz (7.), van Bronckhorst (59.), Sneijder (73.), van der Vaart (74.)
Gelb-Rote Karten Costinha (45.+1'), Deco (78.) Gelb-Rote Karten Boulahrouz (63.), van Bronckhorst (90.+5')
Spieler des Spiels: Maniche

Reaktionen und Nachwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Spiel geriet Schiedsrichter Walentin Iwanow in die Kritik, beide Trainer äußerten sich unzufrieden über die Schiedsrichterleistung bei dieser Partie. So meinte der niederländische Trainer van Basten, dass Iwanow „die Portugiesen mit allem davonkommen lassen“ habe. Auch Portugals Coach Luiz Felipe Scolari äußerte nach dem Spiel, dass der Schiedsrichter „keinen guten Tag erwischt“ habe. FIFA-Präsident Sepp Blatter nahm den Schiedsrichter in die Verantwortung und äußerte sich folgendermaßen: „Ich muss sagen, dass der Schiedsrichter nicht auf dem Niveau der Spieler gepfiffen hat. Man hätte auch ihm eine Gelbe Karte zeigen können“.[12] Der Kicker gab Iwanow nach dem Spiel die Note 5,0 und bewertete seine Leistung wie folgt: „Hatte das Spiel durch falsches Strafmaß nicht im Griff: Hätte Costinha und Deco früher Gelb-Rot geben müssen, brachte dadurch große Hektik ins Spiel. Figos Gelb (60.) war zu milde, Gelb-Rot gegen Boulahrouz hingegen zu hart.“[6] Iwanow selbst bezeichnete das Spiel zwei Tage später „in Anbetracht der aggressiven Gangart“ als „das schlimmste Spiel seiner Karriere“, sah aber keine Fehlentscheidungen seinerseits.[13] Blatter entschuldigte sich einige Tage später öffentlich für seine Kritik und meinte stattdessen, dass „Schiedsrichter [...] eine größere Skala der Entscheidung haben [sollten]“.[14] Allerdings wurde bekanntgegeben, Iwanow für keine weiteren Spiele bei dieser Weltmeisterschaft zu nominieren.[15] Damit war es das letzte Spiel seiner Karriere als FIFA-Schiedsrichter, für die eine Altersgrenze von 45 Jahren gilt.[16]

Insbesondere die Entscheidung von Iwanow, Khalid Boulahrouz nach dem heftigen Foul an Cristiano Ronaldo in der siebten Minute nur mit einer gelben Karte zu verwarnen, statt ihn direkt mit einer roten Karte vom Platz zu stellen, wurde dabei im Nachhinein überwiegend als fehlerhaft sowie als „Schlüsselszene“ für die spätere Entgleisung des Spiels bewertet.[17][18] Zudem hatte Iwanow Luís Figo trotz eines Kopfstoßes – einer klaren Tätlichkeit – lediglich die Gelbe Karte gezeigt statt wie üblich die Rote Karte.[10] Der portugiesische Abwehrspieler Fernando Meira sagte 2012 in einem Interview: „Nach dem Foul [von Boulahrouz] waren unsere Gemüter erhitzt. Von da an wollten wir den Holländern auch wehtun.“ Er unterstellte Boulahrouz, dass er Cristiano Ronaldo mit dem Foul „aus dem Spiel nehmen wollte“. Den Schiedsrichter sah Meira nicht als verantwortlich für die Eskalation des Spiels an. Insgesamt bewertete er das Spiel so, dass es den Spielern und den Zuschauern dennoch Spaß gemacht hätte.[19] Ronaldo selbst unterstellte Boulahrouz direkt nach der Partie ebenfalls eine Verletzungsabsicht bei seinem Foul und meinte, dass Iwanow keine weiteren Spiele bei dieser Weltmeisterschaft leiten sollte.[20]

Generell standen die Schiedsrichterleistungen bei dieser Weltmeisterschaft teils stark in der Kritik. Neben dem Vorfall beim Vorrundenspiel zwischen Kroatien und Australien, bei dem Referee Graham Poll den Kroaten Josip Šimunić versehentlich erst nach drei Gelben Karten des Feldes verwiesen hatte, wurde insbesondere nach der Partie zwischen Portugal und den Niederlanden die allgemein hohe Anzahl an Verwarnungen kritisiert. So meinte beispielsweise Franz Beckenbauer: „So hundertprozentig kriegen sie die Lage nicht in den Griff“, und Günter Netzer sagte: „Mir nehmen die Schiedsrichter zu viel Einfluss auf die Spiele. Sie ziehen allzu schnell Gelb, dann folgt Gelb-Rot. Das verfälscht den Ausgang der Spiele und wird nicht zum Erhalt der Freude am Fußball beitragen.“ Dahingegen nahm DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder die Spieler in die Pflicht und wies darauf hin, dass man alle Mannschaften vor Turnierbeginn darauf hingewiesen hätte, die Regeln bei dieser WM strenger auszulegen. Schiedsrichter Lutz Wagner machte die Vorgaben der FIFA dafür verantwortlich: „Die Schiedsrichter sind dazu aufgefordert worden, kleinlicher zu pfeifen“, und machte darauf aufmerksam, dass „bei so vielen Verwarnungen [...] die Gelbe Karte ihre Wirkung [verliert]“.[21]

Portugal traf im sechs Tage später stattfindenden Viertelfinale auf England. Aufgrund der Platzverweise aus diesem Spiel waren Costinha und Deco für das folgende Spiel gesperrt, sie wurden durch Tiago und Petit in der Startelf ersetzt. Dank dreier Paraden von Ricardo gewann Portugal im Elfmeterschießen. Damit gelang Portugal nach 1966 zum zweiten Mal der Einzug ins Halbfinale.[22][23] Letztlich wurde Portugal nach Niederlagen im Halbfinale gegen Frankreich (0:1) sowie im Spiel um Platz 3 gegen Deutschland (1:3) Vierter.[24][25]

In den Niederlanden trug das Spiel zusammen mit den vorherigen Partien aus der WM-Qualifikation 2002 und der EM 2004 zur Wahrnehmung von Portugal als „Angstgegner“ bei, auch beim nächsten Aufeinandertreffen bei einem großen Turnier in der Vorrunde der Europameisterschaft 2012 unterlag Oranje den Portugiesen mit 1:2.[1] Erst bei einem Freundschaftsspiel am 26. März 2018 gelang den Niederlanden nach 27 Jahren wieder ein Sieg gegen Portugal (3:0), was bei ihrem dreizehnten Aufeinandertreffen erst der zweite Sieg für die Niederländer war.[3][26] Auch im Finale der UEFA Nations League 2018/19 besiegte Portugal die Niederlande, mit 1:0.[27]

Der in diesem Spiel aufgestellte Rekord von 16 vergebenen Karten wurde bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar gebrochen, als Antonio Mateu Lahoz bei der Viertelfinalpartie zwischen den Niederlanden und Argentinien 18 Verwarnungen aussprach.[28]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Tim Hartman: Oranje en angstgegner Portugal: van ordinaire schoppartij tot wanhoop auf ad.nl. 24. März 2018, abgerufen am 29. September 2023 (niederländisch).
  2. Simon Hooper: Dutch Orange men get the blues auf cnn.com. 10. Mai 2002, abgerufen am 29. September 2023 (englisch).
  3. a b Patrick Leemans: Oranje in finale Nations League tegen angstgegner Portugal auf rtlnieuws.nl. 9. Juni 2019, abgerufen am 29. September 2023 (niederländisch).
  4. Jeroen Kapteijns: Memory of 2001 humbling by Ireland still haunts Dutch star Boudewijn Zenden. In: Irish Independent. 9. September 2023, abgerufen am 29. September 2023 (englisch).
  5. Achtelfinale: Wie verhext. In: Die Zeit. 25. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  6. a b c d Portugal gewinnt die "Schlacht von Nürnberg". In: Kicker. 25. Juni 2006, abgerufen am 30. Dezember 2006.
  7. a b Sean Cole: Portugal v The Netherlands: Remembering The Battle Of Nuremberg auf thesportsman.com. 26. März 2018, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  8. a b c A forensic analysis of all 20 cards shown in the Battle of Nuremberg auf planetfootball.com. 25. Juni 2023, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  9. Der Sündenbock: Kartenspieler Iwanow. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  10. a b Nach dem Kopfstoß: Figo muß nicht mit Sperre rechnen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  11. Figo free to play despite head-butt auf abc.net.au. 26. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  12. Blatter wettert gegen Schiedsrichter Iwanow. In: Der Spiegel. 26. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  13. Iwanow: "Schlimmstes Spiel" In: Der Standard. 28. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  14. Frings-Urteil: Blatter räumt Fehler ein. In: Stern. 4. Juli 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  15. Under-fire refs get World Cup boot auf cnn.com. 29. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  16. It was my toughest match - ref Ivanov. In: Times of Malta. 28. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  17. Sport: Die Botschaft hat gefehlt. In: Tagesspiegel. 27. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  18. Portugal bezahlt Sieg teuer: „Es war wie Krieg“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  19. Meira: "Wir wollten den Holländern wehtun" auf spox.com. 16. Juni 2012, abgerufen am 30. September 2023.
  20. Liam Corless: Khalid Boulahrouz admits "I didn’t say sorry" for World Cup horror tackle on Cristiano Ronaldo. In: The Mirror. 12. Februar 2016, abgerufen am 30. September 2023 (englisch).
  21. WM-Problem Schiedsrichter: "Sie kriegen die Lage nicht in den Griff". In: Stern. 27. Juni 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  22. Ricardo hält dreimal. In: Kicker. 1. Juli 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  23. England scheitert an Portugal. In: Der Spiegel. 1. Juli 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  24. Italien trifft auf Frankreich. In: Kicker. 5. Juli 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  25. Pavo Prskalo, Mike Glindmeier: Sieg gegen Portugal: Deutschland feiert den dritten Platz. In: Der Spiegel. 8. Juli 2006, abgerufen am 30. September 2023.
  26. Netherlands v Portugal: The Classic Meetings auf football-oranje.com. 25. März 2018, abgerufen am 29. September 2023 (englisch).
  27. Portugal holt sich Premierentitel. In: Der Spiegel. 9. Juni 2019, abgerufen am 29. September 2023.
  28. Florian Haupt: Viel Ärger im Viertelfinale : Messi regiert im Chaos auf zdf.de. 10. Dezember 2022, abgerufen am 29. September 2023.