Rus (Volk) – Wikipedia

Die Rus waren ein historisches Volk der gleichnamigen Region. Die gängige Position unter europäischen und amerikanischen Historikern ist, dass die Rus aus Skandinavien stammten und somit Waräger (Wikinger) waren, die sich im 8. Jahrhundert an den Flussrouten zwischen der Ostseeregion und dem Byzantinischen Reich ansiedelten.[1][2][3] Die Rus formten im 9. Jahrhundert die Kiewer Rus und stellten dort die Herrscher. Einige russische Historiker gehen hingegen von einer slawischen Abstammung der Rus aus. Nach den Rus sind das Rus-Khaganat, die Kiewer Rus (beides Reiche der alten Rus), Schwarzrussland, Rotrussland, Kleinrussland (Ukraine), Russland und Weißrussland (Belarus), sowie die Ruthenen und die Russinen benannt.

Die Rus als eine ethnische Gruppe innerhalb dem ethnisch heterogenen Fürstenverband der Kiewer Rus ist nicht zu verwechseln mit dem umstrittenen Konzept des Altrussischen Volkes, nach welchem die gesamte Bevölkerung der Kiewer Rus eine einheitliche Ethnie war.

Die Herkunft der Rus in der Geschichtsschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während in der Zeit vor dem 18. Jahrhundert russische Historiker von einem slawischen Ursprung der Rus ausgingen, stellten erstmals der deutsche Historiker und Philologe Gottlieb Siegfried Bayer in den 1720er und 1730er Jahren sowie etwas später August Ludwig von Schlözer, die beide an der Sankt Petersburger Akademie der Wissenschaften arbeiteten, die These eines skandinavischen Ursprungs der Rus auf. Hierbei beriefen sie sich auf die Nestorchronik. Im 19. Jahrhundert griffen Vilhelm Thomsen und Ernst Eduard Kunik diese Theorie auf. Ausgrabungen zu Gräbern aus dem 9. Und 10. Jahrhundert haben dann die Präsenz nordischer Krieger nahe Nowgorod und an der Newa bestätigt, welche zentrale Orte der Kiewer Rus waren. Die Waräger-Runensteine zeugen als weitere Quellen für die Reisetätigkeit und Anwesenheit der Waräger auf dem Gebiet der Rus. Auf weiteren Daten aufbauend, wird der Name des Volkes auch in der jüngeren – internationalen und russischen – Forschung überwiegend vom altnordischen roðr für „Rudern, Rudermannschaft“ abgeleitet – und wäre dann sprachhistorisch verwandt mit den Namen Roslagen und Ruotsi (finnisch für das Land „Schweden“).[4]

Von manchen russischen Forschern wurde die Nestorchronik aber als unzureichende Quelle angesehen, und entsprechende Theorien vermuten, dass die Rus Südslawen vom ukrainischen Fluss Ros waren. Diese Position der sogenannten „Anti-Normanisten“ stammt aus einem politisch motivierten Revisionismus der UdSSR.[5][6] Der allgemeine Konsens in der Historiographie geht von einem skandinavischen Ursprung der Rus aus.[7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rus. In: Encyclopædia Britannica. (englisch).
  • Plochij, Serhij M.: The origins of the Slavic nations. Premodern identities in Russia, Ukraine, and Belarus, Cambridge, 2006.
  • Donnert, Erich: Das altostslavische Großreich Kiev. Gesellschaft, Staat, Kultur, Kunst und Literatur vom 9. Jahrhundert bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Frankfurt, 2012.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Duczko, Wladyslaw [in Polish] (2004). Viking Rus: Studies on the Presence of Scandinavians in Eastern Europe. The Northern World. Vol. 12. Brill. ISBN 9004138749.
  2. Melnikova, E.A. (2003) The Cultural Assimilation of the Varangians in Eastern Europe from the Point of View of Language and Literacy in Runica – Germ. – Mediavalia (heiz./n.) Rga-e 37, pp. 454–465.
  3. Heller, Klaus: Die Normannen in Osteuropa (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, Reihe I: Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens, 195) Berlin, 1993.
  4. Jelena A. Melnikowa, Wladimir Ja. Petruchin: The origin and evolution of the name „Rus“. The Scandinavians in Eastern-European ethno-political processes before the 11th century. In: Thor. Band 23, 1991 (englisch). hier Seite 207 ff.
  5. Abbott Gleason, 'Russian Historiography after the Fall', in A Companion to Russian History, ed. by Abbott Gleason (Oxford: Blackwell, 2009), pp. 1–14 (p. 5).
  6. Elena Melnikova, 'The „Varangian Problem“: Science in the Grip of Ideology and Politics', in Russia's Identity in International Relations: Images, Perceptions, Misperceptions, ed. by Ray Taras (Abingdon: Routledge, 2013), pp. 42–52 (p. 42).
  7. Omeljan Pritsak, „Rus'“, in Medieval Scandinavia: An Encyclopedia Archived 26 April 2023 at the Wayback Machine, ed. by Phillip Pulsiano (New York: Garland, 1993), pp. 555–56.