Johann Hinrich Wichern – Wikipedia

Johann Hinrich Wichern
Johann Hinrich Wichern, Lithografie von Otto Speckter, 1858

Johann Hinrich Wichern (* 21. April 1808 in Hamburg; † 7. April 1881 ebenda) war ein deutscher Theologe, Sozialpädagoge und Gefängnisreformer. Er gründete das Rauhe Haus in Hamburg und gilt als Begründer der Inneren Mission der evangelischen Kirche, als einer der Väter der deutschen Rettungshausbewegung sowie als Erfinder des Adventskranzes.

Biografie

Kindheit, Schule

Johann Hinrich Wichern war das älteste von sieben Kindern einer bürgerlichen, christlichen Familie, die in einfachen Verhältnissen lebte. Sein Vater hatte sich vom Fuhrmann zum vereidigten Übersetzer (Notar) hochgearbeitet. Wichern teilte mit seinem Vater die Liebe zur Musik. Seine Mutter, Caroline Maria Elisabeth geb. Wittstock, stammte ebenfalls aus Hamburg und wird als energisch, praktisch und fromm beschrieben. Johann Hinrich Wichern besuchte eine Privatschule, in der nach der Pädagogik Pestalozzis unterrichtet wurde. 1818 wechselte er auf das Johanneum, ein bereits lange bestehendes Gymnasium, das im 16. Jahrhundert von Johannes Bugenhagen, dem Mitstreiter Martin Luthers und Reformator Norddeutschlands, gegründet worden war. Als sein Vater 1823 starb, musste er sich um den Lebensunterhalt der Familie kümmern, indem er Nachhilfe- und Klavierstunden erteilte. 1826 verließ er das Johanneum vor dem Abitur und wurde Erzieher an einer privaten Internatsschule.

Er begann ein Tagebuch zu schreiben, in dem er auch einen Anfang seines geistlichen Lebens schildert (1824). Demnach hatte sein Konfirmandenunterricht ein Bekehrungserlebnis zur Folge: „Der Durchbruch geschah abends, als Gottes Geist mich anfing von neuem zu gebären. Das Licht des Evangelii erleuchtete auch für mich die Wissenschaften … ich habe Fortschritte in jeglichem gemacht.“ Hinzu kam im Jahre 1826 eine Begegnung mit Johannes Claudius, dem Sohn des Dichters Matthias Claudius, durch die er zu der Erkenntnis kam, „daß wir einen Gott haben, der uns unaussprechlich liebt und heiligen will“. Nebenbei belegte er Vorlesungen am Akademischen Gymnasium und holte das Abitur nach. Dort begegnete er als Mitschüler einem seiner späteren Mitstreiter für die Belange der Inneren Mission, Clemens Theodor Perthes.

Studium

Ein Stipendium, das von Freunden aus den erwecklichen Kreisen Hamburgs finanziert wurde – an vorderster Stelle Martin Hieronymus Hudtwalcker – und eine jährliche Rente durch Amalie Sieveking, ermöglichte Wichern 1828 die Aufnahme des Theologiestudiums. Zunächst besuchte er die Universität Göttingen, dann wechselte er nach Berlin.

In der Berliner Zeit zog ihn die Tiefe des Erweckungstheologen August Neander besonders an. Dieser hatte wie Wichern das Johanneum in Hamburg besucht. Wichern trat in den Mitarbeiterkreis des Hans Ernst von Kottwitz ein, der sich aus einer erweckten, entschiedenen Christusfrömmigkeit heraus um die Armen der Großstadt kümmerte, zum Beispiel in der Beschäftigungsanstalt in der Kaserne am Alexanderplatz.

In Berlin begegnete er auch dem jüdischen, später katholischen Arzt Nikolaus Heinrich Julius, der eine Arbeit über die Reformen im Gefängniswesen verfasst hatte. Unter den berühmten Predigern Berlins beeindruckte ihn vor allem Johannes Evangelista Goßner wegen der Entschiedenheit seiner Verkündigung.

1832 beendete er sein Studium mit dem Theologischen Examen.

Lehrtätigkeit, volksmissionarisches und soziales Engagement

Im Jahre 1832 übernahm Johann Hinrich Wichern eine Stelle als Oberlehrer an der von Johann Gerhard Oncken und dem evangelisch-lutherischen Pfarrer Johann Wilhelm Rautenberg initiierten Sonntagsschule in der Evangelischen Kirchengemeinde St. Georg; der Sankt Georg vor den Toren der Stadt Hamburg war ein Elendsquartier: hierhin hatte man im Mittelalter Pestkranke und Aussätzige verbannt, hier stand der Galgen. Wichern trat einem Besuchsverein bei, der die Eltern der Sonntagsschulkinder zu Hause besuchte. Durch diese Arbeit lernte Wichern die schreiende Armut, die Wohnungsnot, die geistige und sittliche Verwahrlosung in Hamburg kennen. Er fertigte Protokolle an, wobei er in Kontenbüchern die familiären und gesundheitlichen Zustände der Kinder vermerkte. Im Hamburger Vorort Horn gründete er nach einem Jahr eine Anstalt „zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“. Er bezeichnete auch das Lesenlernen als Weg zum Seelenheil.

Die Gründungsversammlung fand im Saal der Börsenhalle am 12. September 1833 statt. Der Hamburger Syndikus Karl Sieveking, ein Verwandter Amalie Sievekings, hatte ihm eine Kate, „Ruges Haus“, mitsamt Grundstück überlassen. Der Volksmund machte aus „Ruges Haus“ das „Rauhe Haus“. Am 31. Oktober zog Wichern mit seiner Mutter und seiner Schwester in das Rauhe Haus ein. Bis zum 12. November waren 6.500 Mark zusammengebracht worden. Bereits zum Jahresende 1833 hatte Wichern zwölf Jungen in die Hausgemeinschaft aufgenommen. Die Zahl der Jungen wuchs, sodass neue Gebäude errichtet werden mussten. Gemeinsam mit seinem Mentor, dem Pöseldorfer Schulleiter Johann Ludwig Emanuel Pluns, gab er den „Bergedorfer Boten“ heraus.[1]

Ab 1835 wurden auch Mädchen aufgenommen. Die Kinder lebten in familienähnlichen Strukturen zusammen, jeweils zehn bis zwölf Kinder mit einem Betreuer, der „Bruder“ genannt wurde. Wichern bildete die Brüder ab 1839 in einem „Gehilfeninstitut“ intensiv aus. Wichern wurde einer der Erneuerer des neutestamentlichen Diakonenamts, das bereits der Genfer Reformator Johannes Calvin wiederentdeckt, hervorgehoben und als gleichberechtigtes kirchliches Amt neben dem Amt der Pastoren, der Lehrer und Ältesten (Presbyter) in der Praxis der „nach Gottes Wort reformierten Kirche“ eingerichtet hatte. Wichern bezeichnete „Jesus Christus als ersten inneren Missionar“. Die wahre Christologie sei der Weg nach „unten“.

Die von Wichern ausgebildeten Männer wurden auch Armen- und Volksschullehrer oder Sozialarbeiter.

Wichern errichtete zu den vorhandenen Gebäuden später auch Werkstätten, nämlich eine Spinnerei, eine Schuhmacherei und einen landwirtschaftlichen Betrieb, und einen Betsaal. 1842 wurde eine Buchdruckerei zur Herstellung der Fliegenden Blätter eingerichtet, in denen die Anliegen der Inneren Mission verbreitet wurden. Im Rauhen Haus hing auch der Wichernkranz, der erste Adventskranz, als dessen Erfinder Wichern gilt.

Seine erste Mitarbeiterin, Amanda Böhme (1810–1888), Tochter eines Brandversicherungsdirektors und Nachkomme Jakob Böhmes, wurde 1835 seine Frau. Aus der Ehe gingen neun Kinder hervor.[2] Amanda Wicherns Eigenständigkeit neben Johann Hinrich und die paarbiographische Seite Wichernscher Organisationsleistung wurde lange nicht beleuchtet; der Blick auf erhalten gebliebenen Briefwechsel[A 1] wirft statt sonst verbreiteter Randnotizen erst seit neuerer Zeit einen Blick auf sie und andere wohlfahrtsstaatlich und sozialpädagogisch gestaltende Frauen (nicht nur) „an der Seite ihrer Männer“.[3]

Ab 1842 begegnet in Wicherns Schriften und Briefen immer öfter der Begriff der „Inneren Mission“. Wichern wollte über seine eigene Tätigkeit im Rauhen Haus hinaus „Werke rettender Liebe“ in ganz Deutschland anregen. Er sah in der Revolution des Jahres 1848 die Folge des sozialen Elends, des Versagens kirchlicher Verkündigung und Seelsorge. Er grenzte sich aber von Karl Marx’ These, die Umstände (Ausbeuterordnung) allein seien hauptverantwortlich für alles Elend, ab.[4]

Am 22. September 1848 hielt Wichern auf dem ersten evangelischen Kirchentag 1848 in Wittenberg, einer Versammlung zur Vereinigung der Landeskirchen, eine programmatische Rede zur Gründung des „Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“, der sich am 11. November 1848 konstituierte; er ist die Vorläuferorganisation des heutigen Diakonischen Werkes. In der Folgezeit entstanden in allen Regionen der deutschen evangelischen Kirchen „Vereine für Innere Mission“.

Ebenfalls 1848 gründete Wichern in Hamburg, inspiriert durch die Stadtmissionen in Glasgow und London, die erste deutsche Stadtmission. Was für Wichern im Allgemeinen die „Innere Mission“ war, das nannte er in Hamburg „Stadtmission“.

Im Jahre 1849 widmete sich Wichern ausschließlich der Reisetätigkeit zur Förderung der „Inneren Mission“. 1851 bekam er von der Universität Halle den Doktor der Theologie verliehen. Bis 1855 entstanden in Deutschland über 100 Rettungshäuser.

Für Wichern gehörten Glaube an Gott und Nächstenliebe, Mission und Diakonie, Erneuerung der Kirche und Erneuerung der gesellschaftlichen Verhältnisse, zusammen. Das Wort Gottes, das Evangelium von Jesus Christus, der Ruf zum Glauben waren für ihn Quelle der Kraft und der Rettung der Menschen. Es lag ihm an freier, volksmissionarischer Wortverkündigung. Er arbeitete für eine evangelische Kirche, in der im Sinne des biblischen „allgemeinen Priestertums“ der Gläubigen aus Hörern des Wortes auch Prediger und Täter des Wortes werden, so dass sich auch die Untätigkeit angesichts des Elends der Armen in tatkräftige Hilfe verwandelt. Das Christentum sollte wieder zur prägenden Kraft in den Familien, Schulen und Betrieben werden. Wichern forderte eine kirchliche Verkündigung, die nicht nur die rechte Lehre (lutherisch oder reformiert) vermittelt, sondern ein Glaubenszeugnis ist. Prediger sollten nicht nur wissenschaftlich ausgebildet, sondern auch „mit Geist und Feuer“ getauft sein. Dazu sollten vermehrt Prädikanten („Laienprediger“) herangebildet und berufen werden. Er dachte auch an den Einsatz von Evangelisten an Orten außerhalb der Kirchengebäude, auf Straßen und Plätzen, in Scheunen und Theatern. Er bemängelte, dass viele fähige Leute in ferne Länder zur „Heidenmission“ gesandt würden, während doch auch in deutschen Landen Missionsarbeit und Evangelisation nötig seien.

Wichern übte Kritik an der herrschenden Praxis der Konfirmation: er nannte die „religiöse Verwahrlosung der meisten Elternhäuser“ beim Namen, die Unaufrichtigkeit der Gelübde, das Desinteresse am Eintritt in die Abendmahlsgemeinschaft der christlichen Gemeinde; er sah und sagte, dass die Konfirmation von den meisten Heranwachsenden und ihren Eltern als Abschluss der Kindheit und Übergang zu ungebundenem Erwachsensein betrachtet werde. Er schlug vor, den kirchlichen Unterricht mit abschließender „Einsegnung“ zu erhalten, aber das öffentliche Glaubensbekenntnis und das Gelübde als Voraussetzung der Zulassung zum Heiligen Abendmahl davon zu trennen und solchen vorzubehalten, denen es mit dem christlichen Glauben und Leben ernst ist.

Im Dienst von Staat und Kirche

Als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. in den 1850er Jahren einen neuen Versuch unternahm, das preußische Gefängniswesen im Sinne der Einzelhaft zu reformieren, griff er auf die Hilfe Wicherns zurück. Wichern hatte nicht nur mit dem „Rauhen Haus“ und der „Inneren Mission“ die Aufmerksamkeit des Königs erregt, sondern in seiner Wittenberger Rede auch explizit Probleme des Strafvollzugs thematisiert. Im Auftrag der Regierung besichtigte Wichern 1852 und 1853 die preußischen Gefängnisse und nahm zwischen 1854 und 1856 maßgeblichen Einfluss auf die Reorganisation des Preußischen Mustergefängnis Moabit, in welchem nun vor allem Brüder des „Rauhen Hauses“ Aufseherdienste versahen. Am 11. Januar 1857 trat er als „Vortragender Rat“ mit dem Dezernat für das Armen- und Gefängniswesen im Ministerium des Innern in den preußischen Staatsdienst ein. Im selben Jahr wurde er als Oberkonsistorialrat Mitglied des altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrates Berlin. 1858 gründete er das Brüderhaus Johannesstift nicht zuletzt zur Ausbildung von Gefangenenaufsehern.

Gerade die Beschäftigung der „Brüder-Aufseher“ führte indes bald zu massiven öffentlichen Angriffen. Hierbei wurden vor allem die Vermengung staatlicher und religiöser Aufgaben und Loyalitäten kritisiert. Im Februar 1861 gab Wichern die Spezialaufsicht über Moabit ab, während das preußische Abgeordnetenhaus 1862 beschloss, die Zusammenarbeit mit der Bruderschaft zu beenden. Wichern behielt jedoch die Leitung des preußischen Strafvollzugs des Innenministeriums, bis ihn Schlaganfälle 1873 zur Aufgabe zwangen. Er wurde am 9. November 1874 offiziell aus seinem Amt entlassen.[5]

Während dreier Kriege, des Deutsch-Dänischen Kriegs, des Deutschen Kriegs und des Deutsch-Französischen Kriegs kümmerte sich Wichern um die Auswahl und Ausbildung von Felddiakonen. Im Deutsch-Französischen Krieg gelang es Johann Hinrich Wichern durchzusetzen, dass die ausschließlich männlichen Felddiakone erstmals das Schutz- und Erkennungssymbol des Roten Kreuzes tragen durften.[6]

Letzte Jahre

Grabstätte Wicherns auf dem Alten Hammer Friedhof; im Hintergrund das Mausoleum der Familie Sieveking
Commons: Wichern-Gedenkstein von 1898 in Hamburg-Horn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Johann Hinrich Wichern hatte trotz seiner Arbeit in Berlin nie ganz die Leitung des „Rauhen Hauses“ abgegeben und kehrte 1872 nach Hamburg zurück. Am 1. April 1873 gab er krankheitshalber die Leitung des Rauhen Hauses an seinen Sohn Johannes ab. 1874 wurde er aus dem Staatsdienst entlassen. Es folgte eine langjährige Leidenszeit mit Schwäche, Schmerzen und Schlaflosigkeit. Am 7. April 1881 starb Wichern nach mehreren Schlaganfällen und langem Leiden in Hamburg-Hamm. Er wurde auf dem Hammer Friedhof beigesetzt, der heute ein historischer Ort mit Gräbern bedeutender sozial engagierter Hamburger ist.

Sein letztes Vermächtnis lautete:

„Wenn Gott es beschlossen hat, mich zu sich zu nehmen, so sollt Ihr, meine Lieben, wissen, daß mein einziges Gebet ist, daß ich selig werde, daß ich zu ihm komme und Frieden in ihm finde. Ich habe mich immer zu ihm bekannt, aber in großer Schwachheit. Er wird mir aber meine Sünden vergeben, darauf geht alle meine Hoffnung um seiner Liebe und Liebestat willen, um seines für mich vergossenen Blutes willen.“

Menschenbild

Johann Hinrich Wichern sah den Menschen als ein von Gott geschaffenes Geschöpf an. Jedes Kind sei etwas Einzigartiges, so dass ihm eine individuelle Pflege und Behandlung zustehe. Der Mensch habe die Fähigkeit, sich zum „Guten“ zu entscheiden oder aber seine Neigungen zum „Bösen“ auszuleben. Da der Mensch von Wichern als ebendiese freie Persönlichkeit gesehen wurde, wurden die Kinder und Jugendlichen in Freiheit erzogen. Die Erlösung zum „Guten“ kann nach Wichern nur durch den christlichen Glauben geschehen.

Erziehungskonzept

Berliner Gedenktafel in Berlin-Moabit

Der genaue Inhalt und die Bedeutung dieses „Guten“ des christlichen Glaubens, wie Wichern ihn verstand, wird explizit bei einer näheren Betrachtung seines Erziehungskonzepts. Entscheidend hierfür ist die theologische Entwicklung Wicherns, diese war geprägt von einem „Wiedergeburtserlebnis“, das ihn zu einem überzeugten Vertreter der gerade erstarkenden evangelischen Erweckungsbewegung machte. Dieses Erlebnis wurde zu einem bestimmenden Moment seiner Erziehungskonzeption und eben derer Inhalte. Denn immer ging es Wichern, und hier unterschied er sich zumindest auf der sprachlichen Ebene nicht von August Hermann Francke, darum, den gottfernen Eigenwillen – die „verderbte Natur“, den „alten Adam“ – in den Kindern und Jugendlichen zu brechen und sie einem neuen Leben zuzuführen.[7]

Von der ersten Anstellung nach dem Studium an bemühte sich Wichern um Kontakte zu solchen wohlhabenden Familien der Hamburger Oberschicht, die ihn aus ihrer christlichen Glaubensmotivation heraus unterstützen konnten. Mit deren Hilfe gelang Wichern bereits ein Jahr später, 1833, er war jetzt 25 Jahre alt, die Gründung des Rauhen Hauses. Von Anfang an lag es in seinem Interesse, seine Einrichtung möglichst unabhängig von staatlichen Einflüssen, also von Zuschüssen, zu wissen. Umso mehr gelang es ihm, seiner eigenen Überzeugung treu zu bleiben und seine Anliegen zu verwirklichen. 1839 erweiterte Wichern das Rauhe Haus um das „Brüderhaus“ als Ausbildungsstätte für den Ev. Verein der „Inneren Mission“, damit auch zugleich um die erste, und um eine bis heute bestehende, sozialpädagogische Ausbildungsstätte in Deutschland.

Wichern und die Menschen, für die er sorgen wollte

Briefmarke des Jahrgangs 1949 der Deutschen Post
Briefmarke zum 200. Geburtstag

In erster Linie stand für Wichern fest, und das wird weiter unten noch erweitert belegt, dass das „innere Verderben die Ursache auch des äußeren Verderbens ist“.[8] Die Hauptursache für Armut und andere Soziale Probleme lag nach Wichern daher im „immer zunehmenden Sittenverderben des Volks, das einzig und allein aus der herrschenden Irreligiösität, der Verachtung des wahren Christentums und dem gottlosen Unglauben entsteht“.[9] Von seinen christlichen, biblisch begründeten Vorstellungen von Ehe und Familie her urteilend sah Wichern denn auch in den zerrütteten Familienverhältnissen des Proletariats eine Ursache des Verderbens.

„Aus diesen Familienverhältnissen (die Eltern haben oft keine Hausstände) geht zuallermeist das Geschlecht der sogenannten verwahrlosten Kinder, deren Zahl sich zu immer mehreren Tausenden steigert, hervor, hier ist die Pflanzschule des faulenden Proletariats, in dessen Behausung zugleich die weibliche Prostitution ihre erste Pflege, die Summe aller Laster und unbändiger Lust ihren Sammelplatz und das zahlreiche Verbrechen seine unmittelbare Vorschule findet.“[10]

Wichern spricht in der Folge konsequenterweise von der „Entartung der untern Volksklassen“.[11] Der Erklärungsansatz für Armut bei Wichern ist also individualisierend: der Einzelne ist verantwortlich für das, was er aus seiner Lage macht. Und andererseits moralisierend: denn wenngleich arm sein an sich noch keine Sünde ist, so ist es doch moralisch verwerflich, sich in dieser Armut auch noch gänzlich sittenwidrig zu benehmen. Dieser Sittenwidrigkeit wollte Wichern mit seinem Rauhen Haus begegnen.

Während Wichern also einerseits im Hinblick auf die soziale Frage den einzelnen verantwortlich machte und seine Kräfte mobilisieren wollte, sah er je länger je mehr auch die Verantwortung der Politik. Er forderte nachdrücklich die „Besserung der politischen Gesetzgebung und der Fürsorge des Staates für die sozialen Verhältnisse des Volkslebens als wesentliche Voraussetzung“ für ein erfolgreiches Wirken der Inneren Mission (1847). Er verlangte ein Eingreifen des Staates in die sozialen Verhältnisse: „Hier eröffnet sich das ganze Gebiet der großen staatswirtschaftlichen Fragen, die sich auf geistige und ökonomische Verhältnisse der Bevölkerung beziehen“. Er forderte die Untersuchung der Ursachen der Massennot und Vorschläge zur Beseitigung der Probleme ein.

Elemente seines Erziehungskonzepts

Begrüßung

Jedem neuen Kind sagte Wichern zu Beginn:

„Mein Kind, dir ist alles vergeben. Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist. Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel, nur mit einer schweren Kette binden wir dich hier, du magst wollen oder nicht, du magst sie zerreißen, wenn du kannst, diese heißt Liebe und ihr Maß ist Geduld. Das bieten wir dir, und was wir fordern, ist zugleich das, wozu wir dir verhelfen wollen, nämlich, dass du deinen Sinn änderst und fortan dankbare Liebe übest gegen Gott und den Menschen!“[7]

Dieser Begrüßungssatz und die anschließende „Reinigung des Knaben“, welche der „notwendigen gänzlichen Umkleidung“ vorausging, erinnert sowohl an ein Aufnahmeritual in einem Kloster, als auch an ein christliches Taufritual und muss als Ausdruck der religiösen Zielsetzungen Wicherns verstanden werden, der sein Wiedergeburtserlebnis (Tod der alten und Geburt einer neuen Identität) mit seinen Zöglingen zu teilen hoffte.

Noviziat

Die individuelle Entwicklung nimmt ihren Ausgang unter „quarantäneähnlichen“ Bedingungen. Alle Neuzugänge mussten als erstes, abgeschottet von allen anderen, das Noviziat durchlaufen. Eine Einrichtung in der Wichern sich in aller Ruhe des Zöglings und seiner Problematik annehmen konnte. Ein Ort erster anamnestischer und diagnostischer Bemühungen. Die Bedingungen des Noviziats waren nach Wichern nötig um, so Wichern selbst: „sittliche Ansteckungen“ zu vermeiden.[12]

Familienprinzip

Die Familien waren das Zentrum des Anspruchs der Förderung von Individualität. Das macht folgendes Zitat deutlich, in dem Wichern zuvor von der Notwendigkeit kleiner Gruppen spricht:

„Wenn diese kleineren Kreise in der Hausordnung nicht etwa als Schul- oder Sittenklassen oder Kompanien oder als Arbeitsgruppen bezeichnet, sondern Familien genannt worden sind, so liegt dem wiederum die Überzeugung zu Grunde, dass das Eigentümliche der Familie, soweit dieselbe überhaupt nachgebildet werden kann, gerade darin besteht, dass in ihr … zugleich das individuelle und individuellste Leben … zu seinem vollen Rechte und jedes einzelne Glied der Familie … zu dem vollen Rechte einer persönlichsten, liebenden, fürsorgenden Pflege des inneren und äußeren Lebens gelangen muß.“[13]

Eine Familiengruppe bestand aus dem Erzieher, dem sogenannten Familienvorsteher und maximal zwölf Zöglingen. Insgesamt wurden im Rauhen Haus nicht mehr als zehn Familiengruppen und 120 Zöglinge untergebracht. Nur unter diesen Bedingungen konnte sich die besonders effiziente Kontrolle herstellen, die Wichern selbst wie folgt beschreibt:

„In einem solchen kleineren leicht und vollständig übersehbaren Kinderkreise muss es, wenn auch mit dem Aufgebot aller Kräfte, möglich zu machen sein, jene individualisierende Liebespflege über alle im Haus befindlichen Kinder gleichmäßig auszubreiten und namentlich auch über ein neu aufgenommenes Kind jene geforderte unerläßlich feine, zarte Führung und Beaufsichtigung zur Ausführung zu bringen“.[14]

Gemäß bürgerlicher Familienvorstellungen, auf denen Wichern sein Erziehungskonzept aufbaute, war ihm die Trennung der Familien voneinander sehr wichtig. Daher durfte das Rauhe Haus auch nicht wie bei einer Kaserne oder anderen Fürsorgeeinrichtungen seiner Zeit ein einzelnes großes Haus sein. Wichern wünschte sich vielmehr viele kleine einfache Wohnhäuser:

„Die einzelnen Häuser sind durch kleine Lustgärten, die den Kindern zur Freude dienen sollen, getrennt … Es ist … der größte sittliche Gewinn, welcher teils für die Anstalt, teils für die einzelnen Kinder aus dieser Anlage erwachsen muss, nicht zu verschweigen … die Kinder (bleiben) nun auch mehr in ihren natürlichen Verhältnissen, und das Familienbewusstsein kann auf diese Weise leichter in ihnen erhalten und durchweg in Reinheit wieder in ihnen geadelt werden“.[15]

Berichtswesen

Wichern führte 1839 einen standardisierten Aufsichtsbericht ein, der 44 von den Erziehern auszufüllende Unterabschnitte enthielt. Jeder Unterabschnitt wies auf die Möglichkeit einer besonderen, zu verhindernden Unordnung hin. Diese Daten waren sowohl geeignet, Auskunft über die spezifische Gruppenstruktur jeder einzelnen Familie bzw. Arbeitsgruppe zu geben, als auch über die individuellen Fort- und Rückschritte sämtlicher Zöglinge und Erzieher in Hinblick auf die Internalisierung bürgerlicher Normen und Werte.[16]

Wochengespräch

Diese im Laufe der Woche erhobenen Daten wurden zu einem Gegenstand der den Familien zur Pflicht gemachten so genannten Wochengespräche. Hier fand ein pädagogischer Dialog statt. Es war Ziel dieser Gespräche, sowohl nebensächlichste Begebenheiten und unscheinbarste Vergehen, als auch verborgenste Absichten und heimlichste Begehren der Zöglinge in ein ungezwungenes pädagogisches Gespräch zu verwandeln, und damit in die Verfügungs- und Definitionsgewalt des Erziehers zu bringen. Vor allem wurde in den Wochengesprächen in „Erwägung des innern sittlichen Standes und Ganges der Familien“ unter Leitung des Familienvorstehers:

„Alles dasjenige, was diese 12 unter sich erlebt haben, zur Sprache gebracht. Wichtiges und Unwichtiges, Inneres und Äußeres, Erfahrungen bei der Arbeit wie beim Unterricht, Wünsche und Bitten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hoffnungen und Befürchtungen. Erlebnisse untereinander und mit den Erwachsenen werden hier in bunter Reihe von den Kindern selbst zur Sprache gebracht. Selbstanklagen, Bekenntnisse, Schlichtung von Streitigkeiten, Untersuchungen über Recht und Unrecht bringen alles ans Licht, was bis dahin verborgen gewesen. Der Standpunkt jedes einzelnen wird dabei von selbst offenbar.“[17]

Blieben die Arbeitszeugnisse einzelner Familienmitglieder hinter den gestellten Anforderungen zurück, wurde in den Familiengruppen des Rauhen Hauses ein über das erzwungene Konkurrenzverhältnis vermittelter Kontroll- und Disziplinierungsmechanismus wirksam. Wichern schrieb hierzu:

„Es wird nämlich von der Familie als eine große Schande angesehen, wenn eines ihrer Mitglieder zu den Nichtfleißigen gehört, und von den Kindern, die zu einer Familie gehören, wird unabhängig von aller Einwirkung der Gehülfen, ALLES aufgeboten, und den etwa nur mittelmäßig Fleißigen oder gar den Faulen zum Fleiße zu bewegen. Sie befürchten so sehr die Befleckung des guten Namens ihrer besonderen Familie durch einen trägen Cameraden, dass zum Beispiel bei Übergabe eines neuen Knaben aus dem Noviziat in diese Familie ihm von der Familie mit der Verwarnung und Ermahnung, fleißig und arbeitsam zu sein, entgegen gekommen wird. Ein, namentlich wiederholter, Träger würde von den übrigen Familienmitgliedern wegen seiner Faulheit sehr oft Strafe erlitten haben, wenn nicht Erwachsene als Vermittler dazwischen getreten wären. Und dass es unter unsern Kindern zu einer Schande geworden ist, nicht arbeiten zu wollen, ist doch gewiss ein zu beachtendes Ergebnis der Organisation, und ist ein um so erfreulicheres, als es entschieden in der wechselseitigen Erziehung der Zöglinge wurzelt; denn von den Erwachsenen ist unmittelbar nicht im Mindesten darauf hingewirkt.“[18]

Gegenseitige Erziehung

Die Hoffnung darauf, dass „vornehmlich auch die gegenseitige Erziehung der Kinder gefördert wird“ war ausschlaggebend für Wicherns Interesse an der Förderung der familialen Beziehungskonstellationen der Kleingruppen im Rauhen Haus. Es war das Ziel Wicherns, dass „alles von allen und jeder von jedem beaufsichtigt wird“.[19]

Arbeitserziehung im „Rauhen Haus“

Gearbeitet wurde im Rauhen Haus folgendermaßen: Im Sommer belief sich die tägliche Arbeitszeit auf neuneinhalb und im Winter auf sechseinhalb Stunden. Dazu kamen tägliche Unterrichtszeiten von zwei bzw. drei Stunden. Dass die Arbeit gegenüber dem Unterricht so viel mehr Zeit in Anspruch nahm, lag nicht zuletzt darin begründet, dass Wichern um die ermüdende, und damit subversiven Kräften einhaltgebietende Funktion von mit Konkurrenz und Leistungsdruck einhergehender Arbeit wusste. Diesen Umstand beschreibt er folgendermaßen: „Die Arbeit wurde der erste Ableiter der rohen Kräfte und führte bei den meisten dahin, dass die rohen verwüstenden Kräfte in heilsame verwandelt wurden.“[20] Denn das Ziel war die Herstellung von „fleißigen, ehrenhaften, treuen, geschickten, stillen, gewissenhaften Arbeitern um das tägliche Brodt“.[21]

Pro Tag wurde dort, in Anwesenheit der Zöglinge, zwei- bis dreimal eine Fleißnote für diesen festgestellt und festgehalten. Die Bewertung geschah in Form eines entweder gar nicht, einmal oder zweimal eingerissenen Zettels, auf dem Namen des Bewerteten und des die Benotung Erteilenden vermerkt wurde. Einmal eingerissen stand für fleißig, zweimal für mittelmäßig und dreimal durchgerissen für träge. Diese Maßnahme war gedacht um Täuschungsversuche von Seiten der Zöglinge zu vermeiden. Dieser Zettel musste in der Familie wieder abgegeben werden, in der sich dann die oben beschriebene Situation auftat. Der, der seinen Zettel verloren hatte, bekam nicht eher wieder etwas zu essen, „bis er das Verlorene wiedergeliefert hat(te), so dass nach keiner Stelle ein Ausweichen aus der Ordnung möglich“ war.[22] Der Erfolg dieser Maßnahmen blieb nicht aus, innerhalb von zehn Monaten wurden von 85 Zöglingen 43084 solche Arbeitszeugnisse ausgestellt. Diese sind aber nicht mehr vorhanden.

Verhältnis von Disziplinierung und Individualisierung in Wicherns Erziehungskonzept

Unter Bezugnahme auf das Disziplinverständnis bei Michel Foucault und vor dem Hintergrund einer kritischen Theorie der Gesellschaft (vgl. Karl Marx, Heinz Steinert) notierte Roland Anhorn in seiner Dissertation eine entsprechende Analyse dieses pädagogischen Wirkens Wicherns. Dieses ist demnach ein wohlorganisiertes Handeln gewesen, das herrschende bürgerliche Verhältnisse „elegant“ zu reproduzieren imstande gewesen war. Eine ähnliche Erörterung des Konzepts findet sich auch bei Ernst Köhler.

Es war demnach die Besonderheit Wicherns, die Bedürfnisse des einzelnen Zöglings zum Dreh- und Angelpunkt seiner eigenen Disziplinierung gemacht zu haben, ihn also – auf Einsicht und Dialog bauend – nützlich gemacht zu haben für fremde Zwecke. Dieser Fähigkeit wegen kann er als einer der ersten modernen Sozialpädagogen bezeichnet werden. Modern in dem Sinne, als er, im Gegensatz beispielsweise zu Francke in Halle, nicht mehr auf körperliche Züchtigung als erstes Mittel zum Zwecke der Anpassung an herrschende gesellschaftliche Verhältnisse setzte (ohne dieses jedoch gänzlich auszuschließen), sondern eben auf das pädagogische Gespräch („Wochengespräch“) und die Einsicht der zu Erziehenden. Sein Konzept steht an der Nahtstelle von (auch brutaler) Fremddisziplinierung bei eben zum Beispiel Francke, der von ihm geforderten Selbstdisziplinierung, hin zur Selbstbestimmung. Alles drei verweist aber auf das vom künftigen Bürger verlangte Funktionieren innerhalb der ihm vorgegebenen Verhältnisse. Als Funktionär derer ist er Herr seines Willens. Das wusste auch Wichern: „Wir schmieden unsere Ketten von inwendig und verschmähen die, so man von außen anlegt“.[23] Selbstdisziplinierung statt Schläge, bei absoluter Beibehaltung der Ziele – das kann demnach als das pädagogische Credo Wicherns gelten.

Als „Interventionslegitimation“ dienten Wichern zahlreiche seine Klientel degradierende Etiketten. Wichern beschrieb die Kinder, die ihm anvertraut werden sollten z. B. folgendermaßen: „Die Masse der Kinder ist der Pol des schlechten, des sittlich versunkenen, des verfaulten Lebens in der Christenheit, die verwilderte Sündenmasse, welche der Rettung bedürftig ist, ohne sie als notwendig erkannt zu haben.“[24] Und auch über das, was er mit diesen „Verfaulten Leben“ vorhatte, und in wessen Interesse das geschah, machte er deutliche Aussagen: „Die Anstalt trachtet danach, dem Wohle des Staates in Umbildung solcher Personen, welche ihm ohne diese Hilfe wie einen Krebsschaden würden eingewohnt haben, förderlich zu sein, ohne ihm je lästig zu wollen“.[25] Zwar wurden den Kindern, im Gegensatz zu den üblichen damaligen Praktiken (Kaffee sortieren, Pferdehaar zupfen …) in anderen ähnlichen Einrichtungen, eine Ausbildung (zumeist als Bauer oder in einem Handwerk) angeboten, aber die Ordnung selbst, innerhalb dessen das geschah, stand für Wichern niemals zur Debatte. Diese galt vielmehr immer schon als die notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche „Wiedergeburt der Kinder in Christi Namen“. Mögliche Widersprüche von Seiten der Kinder, sei es, dass sie sich auf den Zehn-Stunden-Tag, auf das Herausgerissen werden aus den bisherigen sozialen Beziehungen, auf das ihnen bevorstehende „Schicksal“ als Unterschichts-Bürger bezogen hätten, konnte Wichern demnach nicht zulassen.

Die „Freiheit“ und „Schönheit“, in der seine „krebsschadengleichen“ Zöglinge aufgrund seiner Erziehung aufwuchsen, relativiert sich von einem solchen Hintergrund. Wichern ist nicht bloß Schöpfer eines auch humaneren und freundlicheren Erziehungskonzeptes. Er ist auch ein Pionier in Hinblick auf die Erfindung von, in aktueller Pädagogik nach wie vor angewendeten, Techniken für eine subtilere Disziplinierung von Mitgliedern nachwachsender Generationen.

Adventskranz nach J. H. Wichern

Weitere Urheberschaften

  • Wichern ist der Begründer des Adventskranz-Brauches (1839), zunächst mit vier weißen Kerzen für die Adventssonntage und je einer roten Kerze für jeden Tag dazwischen.
  • Wichern gründete in Hamburg eine Schule, die später den Namen Wichern-Schule erhielt.
Das Mannheimer Seelsorgeschiff Johann Hinrich Wichern

Ehrungen

Wichern als Namensgeber

Weitere Ehrungen

  • Die 30-Pfennig-Briefmarke des 1949 herausgegebenen ersten Satzes von Wohlfahrtsmarken in der Bundesrepublik Deutschland (als Auftakt zur Briefmarkenserie „Helfer der Menschheit“) zeigt Johann Hinrich Wichern. Anlässlich seines 200. Geburtstages ehrte ihn die Deutsche Post 2008 mit einer weiteren Briefmarke.
  • Seit 1991 verleiht das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz die Johann-Hinrich-Wichern-Plakette, die 1988 von der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen entworfen und gefertigt wurde, als höchste Auszeichnung. Sie steht für das Eintreten Wicherns für die soziale Verantwortung der Kirche, welche letztlich 1848 zur Gründung der Inneren Mission führte.[27]
  • Die Evangelische Kirche in Deutschland hat mit dem 7. April einen Gedenktag für Wichern im Evangelischen Namenkalender eingerichtet.[28]

Publikationen

  • Die Ursachen der so vielfach erfolglosen Bemühungen in der heutigen Kindererziehung. Ein Vortrag, gehalten zu Berlin am 9. Februar 1863. Rauhes Haus, Hamburg 1863.
  • Gesammelte Schriften. Hrsg. von Johannes Wichern und Friedrich Mahling. 6 Bde. Hamburg 1901–1908:
    • Bd. 1 (1901): Briefe und Tagebuchblätter. 1848.
    • Bd. 2 (1901): Briefe und Tagebuchblätter. 1849–1857.
    • Bd. 3 (1902): Prinzipielles zur inneren Mission. Die wichtigsten Aufsätze, Vorträge und Abhandlungen über Fragen und Aufgaben der Inneren Mission.
    • Bd. 4 (1905): Zur Gefängnisreform. Reden, Denkschriften und Gutachten.
    • Bd. 5 (1908): Das Rauhe Haus.
    • Bd. 6 (1908): Aufsätze über Rettungsanstalten aus dem Jahre 1833. Rettungsanstalten für Kinder im deutschen Sprachgebiet.
  • Sämtliche Werke. Hrsg. von Peter Meinhold (Bände 1–8) und Günther Brakelmann (Bände 9–10), zehn Bände; Berlin, Hamburg, Hannover 1958–1988:
    • Bd. I (1962): Die Kirche und ihr soziales Handeln (Grundsätzliches und Allgemeines).
    • Bd. II (1965): Die Kirche und ihr soziales Handeln (Grundsätzliches und Allgemeines).
    • Bd. III, Tl. 1 (1968): Die Kirche und ihr soziales Handeln (Grundsätzliches, Allgemeines, Praktisches).
    • Bd. III, Tl. 2 (1969): Die Kirche und ihr soziales Handeln (Grundsätzliches, Allgemeines, Praktisches).
    • Bd. IV, Tl. 1 (1958): Schriften zur Sozialpädagogik (Rauhes Haus und Johannesstift).
    • Bd. IV, Tl. 2 (1959): Schriften zur Sozialpädagogik (Rauhes Haus und Johannesstift).
    • Bd. V (1971): Kleinere Aufsätze – Buchbesprechungen – Nachrufe – Nachträge.
    • Bd. VI (1973): Die Schriften zur Gefängnisreform.
    • Bd. VII (1975): Die Schriften zur Pädagogik.
    • Bd. VIII (1980): Der Briefwechsel (zur Brüdergeschichte).
    • Bd. IX (1988): Der Briefwechsel mit Externen.
    • Bd. X (1988): Register. – Konkordanz: Martin Michel: Wichern-Konkordanz. Eine Konkordanz zur Ausgabe.
  • Die Ursachen der so vielfach erfolglosen Bemühungen in der heutigen Kindererziehung : ein Vortrag, gehalten zu Berlin am 9. Februar 1863. (online bei der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf).
  • Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation. 3. Auflage. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1889 (online auf archive.org).

Literatur

  • Iris Groschek: Wichern, Johann Hinrich. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 1. Christians, Hamburg 2001, ISBN 3-7672-1364-8, S. 345–346.
  • Ferdinand Sander: Wichern, Johann Hinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 42, Duncker & Humblot, Leipzig 1897, S. 775–780.
  • Werner RauppWICHERN, Johann Hinrich. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 15, Bautz, Herzberg 1999, ISBN 3-88309-077-8, Sp. 1473–1503.
  • Jürgen Albert: Christentum und Handlungsform bei Johann Hinrich Wichern (1808–1881). HVA, Heidelberg 1997, ISBN 3-8253-7057-7.
  • Roland Anhorn: Sozialstruktur und Disziplinarindividuum. Zu Johann Hinrich Wicherns Fürsorge- und Erziehungskonzeption des Rauhen Hauses. Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach bei Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-89349-409-X.
  • Uwe Birnstein: Johann Hinrich Wichern: Wie der fromme Erzieher Kinder und Kirche retten wollte. Wichern-Verlag, Berlin, 3. Auflage, 2018, ISBN 978-3-88981-437-1.
  • Hermann Friedrich Krummacher: Johann Hinrich Wichern. Ein Lebensbild aus der Gegenwart. Perthes, Gotha 1882 (erste Biografie über Wichern).
  • Bettina Lindmeier: Die Pädagogik des Rauhen Hauses. Zu den Anfängen der Erziehung schwieriger Kinder bei Johann Hinrich Wichern. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1998, ISBN 3-7815-0935-4.
  • Hansjörg Martin: Ein Menschenfischer. Johann Hinrich Wichern, sein Leben, Wirken und seine Zeit. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1981, ISBN 3-7600-0336-2.
  • Martin Pörksen: Johann Hinrich Wichern und die sozialen Fragen. Sehrohr Verlag, Rendsburg 1932 (zugl. Dissertation Universität Kiel).
  • Michael Klein: Feuer der Nächstenliebe: Johann Hinrich Wichern – der Gründer der Inneren Mission in Texten und Bildern. Aussaat, Neukirchen-Vluyn. Verlag am Birnbach, Birnbach, 1998, ISBN 3-7615-3598-8.
  • Jens Schild: Wichern als Innovator – Diakonie als Gabenökonomie. Entrepreneurship in der Gründung und dem Aufbau des Rauhen Hauses. LIT-Verlag, Münster 2021, ISBN 978-3-643-14554-3. (zugl. Dissertation Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel)
  • Hans Steinacker u. Oskar Schnetter (Hrsg.): Johann Hinrich Wichern. Ein Menschenfischer aus Passion. Hänssler, Neuhausen 1998, ISBN 3-7751-2834-4.
  • Stephan Sturm: Sozialstaat und christlich-sozialer Gedanke. Johann Hinrich Wicherns Sozialtheologie und ihre neuere Rezeption in systemtheoretischer Perspektive. Kohlhammer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-17-016879-4.
  • Gerhard Wehr: Herausforderung der Liebe. Johann Hinrich Wichern und die Innere Mission. Verlag Linea, Bad Wildbad 2007, ISBN 978-3-939075-12-7.
  • Dietrich Sattler: Anwalt der Armen – Missionar der Kirche. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg, 2007.
  • Sigrid Schambach: Johann Hinrich Wichern. Ellert & Richter, Hamburg 2008, ISBN 3-8319-0298-4.
  • Friedrich Oldenberg: Johann Heinrich Wichern. Sein Leben und Wirken. 2 Bde. Agentur des Rauhen Hauses u. W. Manke & Söhne, vormals Perthes Besser & Manke, Hamburg 1884, 1887.
  • Volker Krolzik: Wichern, Johann Hinrich (1808–1881). In: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Band 3. Brockhaus, Wuppertal/Zürich 1994, ISBN 3-417-24643-1. S. 2160–2161.
  • Gerhard K. Schäfer (Hrsg.) (2023): Mein liebster Heini – Meine herzensliebe Amanda. Amanda und Johann Hinrich Wichern – Briefe in Auswahl 1837–1857. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Anmerkungen

  1. Gerhard K. Schäfer (Hrsg.): Mein liebster Heini – Meine herzensliebe Amanda. Amanda und Johann Hinrich Wichern – Briefe in Auswahl 1837–1857. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2023, ISBN 978-3-525-45924-9.

Weblinks

Commons: Johann Hinrich Wichern – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. Martin Gerhardt: Johann Hinrich Wichern, ein Lebensbild. Jugend und Aufstieg, 1808–1845. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1927, DNB 365953741, S. 112.
  2. Ferdinand Sander: Wichern, Johann Hinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 42, Duncker & Humblot, Leipzig 1897, S. 775–780.
  3. S. Borée: Amanda Wichern. S. 7.
  4. „Diejenigen, welche wußten, wie die Sachen standen, sahen das drohende Ungeheuer heraufziehen, und jetzt hat sich das Ungewitter der kommunistischen Revolution entladen. […] Was die neueste Entwicklung […] ans Tageslicht gebracht mit dem sittlichen Anhang, das hat unser unterster Pöbel seit vielen Jahren gehabt und ausgeübt. […] Daraus erklärt sich die Revolution. Diese kommunistischen, diese allen gesunden politischen und sittlichen geschweige christlichen Grundsätzen zuwiderlaufenden Ansichten hängen sich an jene […] Afterphilosophie; und schnell sind sie als Motiv zur Revolution verstanden worden von jenen Massen, die sich erhoben haben.“ Zitiert nach: Wichern, Johann Hinrich – Rede auf dem Wittenberger Kirchentag. In: glaubensstimme.de. Abgerufen am 17. Oktober 2020.
  5. Vgl. die einschlägigen kommentierten Schriften Wicherns: Wichern, Sämtliche Werke. Band 7.
    Siehe auch Ferdinand Sander: Wichern, Johann Hinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 42, Duncker & Humblot, Leipzig 1897, S. 775–780.
    Gustav von Rohden: J. H. Wichern und die Preußische Gefängnißreform. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. 26 (1906), S. 189–216.
    Hanns Wolff: Der Gedanke einer Strafvollzugsreform bei Wichern. Diss. jur., Bonn 1952.
    Thomas Nutz: Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft 1775–1848. Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-56578-8, S. 364–366.
  6. Christine Auer: Geschichte der Pflegeberufe als Fach. Die Curricular-Entwicklung in der pflegerischen Aus- und Weiterbildung. Dissertation Heidelberg. Eigenverlag, Heidelberg 2008, S. 128. Zitiert vor allem nach: Volker Herrmann (Hrsg.): Zur Diakonie im 19. Jahrhundert. Überblicke, Durchblicke, Einblicke (= Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, DWI Info, Sonderausgabe, Bd. 6). Diakoniewissenschaftliches Institut, Heidelberg, 2005, ISSN 1612-0388, DNB 982089996, S. 130.
  7. a b Wichern, Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 119.
  8. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 205.
  9. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 17.
  10. Wichern: Sämtliche Werke, Band 1, S. 253.
  11. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 104.
  12. Wichern: Sämtliche Werke, Band 7, S. 48.
  13. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/2, S. 253.
  14. Wichern: Sämtliche Werke, Band 7, S. 433.
  15. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 103 f.
  16. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 105.
  17. Wichern, 3. Jahresbericht, S. 35.
  18. Wichern, 12. Jahresbericht, S. 60.
  19. Wichern, 5. Jahresbericht, S. 21.
  20. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 140.
  21. Wichern, 14.–17. Jahresbericht, S. 58.
  22. Wichern, 3. Jahresbericht, S. 55.
  23. Wichern: Sämtliche Werke, Band 7, S. 30.
  24. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 327.
  25. Wichern: Sämtliche Werke, Band 4/1, S. 112.
  26. Marieke Lohse: Seit 150 Jahren: Kirche für Binnenschiffer im Hamburger Hafen. In: nordkirche.de. 12. Oktober 2020, abgerufen am 17. Oktober 2020.
  27. Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: Diakonisches Werk zeichnete vier „vielfältige“ Initiativen mit der Wichern-Plakette aus. In: diakonie-portal.de. 1. Juli 2015, abgerufen am 17. Oktober 2020.
  28. Joachim Schäfer: Johann Hinrich Wichern. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. 14. Mai 2017, abgerufen am 17. Oktober 2020.