Bundesrückerstattungsgesetz – Wikipedia

Basisdaten
Titel: Bundesgesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger
Kurztitel: Bundesrückerstattungsgesetz
Abkürzung: BRüG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Erlassen aufgrund von: Art. 134 Abs. 4, Art. 135 Abs. 5 GG
Rechtsmaterie: Verwaltungsrecht
Fundstellennachweis: 250-1
Erlassen am: 19. Juli 1957
(BGBl. I S. 734)
Inkrafttreten am: 19. Juli 1957
Letzte Änderung durch: Art. 21 G vom 29. Juni 2015
(BGBl. I S. 1042, 1060)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
17. August 2015
(Art. 22 G vom 29. Juni 2015)
GESTA: C041
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Bundesgesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger ist ein Bundesgesetz im Rahmen der deutschen Wiedergutmachungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besetzung entstandener Fragen[1] und im Protokoll Nr. 1 zum Abkommen mit Israel[2] hatte sich die Bundesregierung zur Vorlage einer entsprechenden bundesgesetzlichen Regelung verpflichtet.[3]

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rechtsvorschriften zur Rückerstattung der noch feststellbaren, in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenen Vermögensgegenstände (Naturalrestitution) hatten bis dahin nur die Siegermächte für die amerikanische und britische Besatzungszone im Militärregierungsgesetz Nr. 59,[4] für die französische Besatzungszone in der Verordnung Nr. 120 vom 10. November 1947[5] und für Berlin (West) mit der Anordnung BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949[6] erlassen.

Diese Vorschriften wurden für das Gebiet der Bundesrepublik gemäß dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten Deutschlandvertrag in der in diesem Zeitpunkt geltenden Fassung deutsche Rechtsvorschriften[7] und im BRüG vereinheitlicht (§ 11 Nr. 1a bis d BRüG).

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rückerstattungsansprüche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das BRüG regelt rückerstattungsrechtliche Ansprüche gegen das ehemalige Land Preußen, das Unternehmen Reichsautobahnen,[8][9] die ehemalige Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), deren Gliederungen, deren angeschlossene Verbände und die sonstigen aufgelösten NS-Einrichtungen sowie die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und den Auswanderungsfonds Böhmen und Mähren (§ 1, § 2 BRüG), wenn sie sich während der NS-Herrschaft entgegen rechtsstaatlichen Grundsätzen das Eigentum der Berechtigten, die Eigentümerstellung, den Besitz oder die Verfügungsmacht verschafft oder angemaßt hatten (§ 2a BRüG).[10]

In Verfahren über rückerstattungsrechtliche Ansprüche werden die Verpflichteten durch den Bundesfinanzminister oder von ihm zu bestimmende nachgeordnete Behörden der Bundesfinanzverwaltung vertreten (§ 9 BRüG). Das sagt jedoch nichts über das staats- und völkerrechtliche Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Bundesrepublik Deutschland aus.[7] Die Bundesrepublik Deutschland ist lediglich verpflichtet, die betreffenden Ansprüche zu erfüllen (§ 31 BRüG).

Entziehungsvorgänge, die unter das BRüG fallen, sind beispielsweise:[11]

  • die Beute der großen M-Aktionen (Möbelaktionen), bei denen die deutschen Behörden Möbel von deportierten Juden aus Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Belgien abtransportiert und an ausgebombte Deutsche hauptsächlich in Nord-Westdeutschland verteilt hatten,
  • jene Güter, welche Juden aus ganz Europa nach der Deportation in den Vernichtungs- und Arbeitslagern abgenommen und durch deren Verwertungsabteilungen zurück ins Reich verschickt worden waren (hierzu gehörten Kleidung, Pelze und Wertgegenstände wie Schmuck, mitgeführtes Geld, Edelsteine und herausgebrochene Goldzähne),
  • alle im Laufe der Aktion Reinhardt entzogenen Gegenstände sowie Güter, die bei anderen Deportationsmaßnahmen im deutschen Einflussbereich entzogen worden waren, sowie
  • Zwangsverkäufe zur Abwendung der Insolvenz nach dem sog. Judenboykott von April 1933 und Arisierungen aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden und der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben von 1938.[12]

Zuständigkeit und Verfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Anspruchsteller musste binnen der bis zum 1. April 1959 bemessenen Ausschlussfrist einen bestimmten Anspruch vermögensrechtlicher Art geltend machen. Der entzogene Gegenstand musste individualisierbar und noch vorhanden sein, um durch körperliche Rückgabe restitutionsfähig zu sein.[13]

Zuständig waren für Ansprüche in der ehemaligen amerikanischen und britischen Zone die „Zentralanmeldeämter“ (§ 27 BRüG), im Gebiet der ehemaligen französischen die „Restitutionskammer des zuständigen Landgerichts“ (§ 28 BRüG).[7][14]

Das Militärregierungsgesetz Nr. 59 der Britischen Militärregierung sah in Art. 53 bis 55 Wiedergutmachungsämter (engl. Restitution Agency) vor, an welche das Zentralanmeldeamt die bei ihm geltend gemachten Ansprüche weiterleiten sollte (IX. Abschnitt: Anmeldeverfahren, Art. 47 ff.).[4][14] Im Streitfall waren in erster Instanz die Wiedergutmachungskammern der Landgerichte zuständig (Abschnitt X. Gerichtliches Verfahren, Art. 8 ff.), der in Art. 61 vorgesehene Board of Review ging im 1955 gegründeten Obersten Rückerstattungsgericht mit Sitz in Herford auf.[15] Daneben bestand das Oberste Rückerstattungsgericht für Berlin.

Bereits im Jahr 1953 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Rückerstattungsgesetze der einzelnen Besatzungszonen eine Rückerstattung nach allgemeinem bürgerlichen Recht wegen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Entziehungsvorgänge ausschließen.[16]

Ein Beispiel für die missbräuchliche Inanspruchnahme des BRüG ist der Fall Hatvany vor der Wiedergutmachungskammer am Landgericht Berlin.[17]

Rückerstattung im Beitrittsgebiet[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zugunsten von Personen, die bis zur Wiedervereinigung ihren Wohnsitz außerhalb des Geltungsbereichs des BRüG hatten, insbesondere in der DDR, traf das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen eine Regelung für vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen, die in der Zeit des Nationalsozialismus vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt worden waren und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren hatten (§ 1 Abs. 6 VermG). Diese Regelung knüpfte an die rückerstattungsrechtlichen Regelungen an, die in West-Deutschland galten.[18]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bernhard Kemper, Herbert Burkhardt: Kommentar zum Bundesrückerstattungsgesetz. Stuttgart: Kohlhammer, 1957.
  • Georg Blessin, Hans Wilden: Bundesrückerstattungsgesetz und Elfte Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz. Kommentar. München und Berlin, 1958.
  • Harold P. Romberg, Alexander Lauterbach, Helmut Buschbom et al.: Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Band II: Das Bundesrückerstattungsgesetz. München: Beck-Verlag, 1981. ISBN 978-3-406-03666-8.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. BGBl. 1955 II S. 628.
  2. BGBl. 1953 II S. 35.
  3. Entwurf eines Bundesgesetzes zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger (Bundesrückerstattungsgesetz - BRüG). Kabinettssitzung am 6. Juni 1956. bundesarchiv.de, abgerufen am 18. Februar 2023.
  4. a b Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen, Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet S. 1169.
  5. Amtsbl. des französischen Oberkommandos in Deutschland Nr. 119 vom 14. November 1947 S. 1219.
  6. Verordnungsbl. für Groß-Berlin Teil I 1949 S. 221.
  7. a b c Drucksache Nr. 2677, Deutscher Bundestag vom 7. September 1956. Entwurf eines Bundesgesetzes zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger (Bundesrückerstattungsgesetz — BRüG), Begründung, S. 13 ff.
  8. Gesetz über die Errichtung eines Unternehmens „Reichsautobahnen“ vom 27. Juni 1933 (RGBl. II S. 509).
  9. Stichtag 27. Juni 2008 - Vor 75 Jahren: Gesetz zum Unternehmen „Reichsautobahnen“. WDR, 27. Juni 2008.
  10. Jürgen Lillteicher: Grenzen der Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Vortrag. 11. und 12. September 2003 (online; PDF; 58 kB)
  11. Jürgen Lillteicher: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971. Univ.-Diss., Freiburg i. Br. 2002/2003, S. 334 ff.
  12. Harald König: Grundlagen der Rückerstattung. Das deutsche Wiedergutmachungsrecht. Kunstverwaltung des Bundes, abgerufen am 17. Mai 2023.
  13. Hannes Hartung: Kunstraub in Krieg und Verfolgung: die Restitution der Beute- und Raubkunst im Kollisions- und Völkerrecht. De Gruyter, Berlin 2005, S. 164. Google.books.
  14. a b eingehend: Struktur und Verfahren der Rückerstattung. In: Florian Grumblies: Rückerstattung und Entschädigung. Die Praxis der „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischen Unrechts am Beispiel der Juden der Stadt Hannover 1945–1965. Univ.-Diss., Hannover 2021, S. 59 ff.
  15. Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford. Eine Untersuchung zu Vorgeschichte, Errichtung und Einrichtung eines internationalen Revisionsgerichts in Deutschland. De Gruyter, 2014. ISBN 978-3-11-031674-2.
  16. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1953 - IV ZR 30/53 zu der französischen Verordnung Nr. 120.
  17. Der Fall Hatvany – Betrug und Korruption in der Rückerstattung. In: Jürgen Lillteicher: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971. Univ.-Diss., Freiburg i. Br. 2002/2003, S. 381 ff.
  18. Bundesministerium der Finanzen: Die Regelung offener Vermögensfragen. 4. April 2022.